Die Gasbranche ächzt unter der Umsetzung ständig neuer Marktregeln. Davon profitieren insbesondere IT-Dienstleister, die zwar auch kräftig strampeln müssen, ihre Anstrengungen jedoch in Wachstum ummünzen können. BWK sprach mit Joachim Pyras, Geschäftsführer der Essener numetris GmbH. Nach seinen Marktbeobachtungen wird der Bereich Messdienst- leistungen zunehmend interessant, weil der wachsende Kosten- druck mehr und mehr Unternehmen drängt, Geschäftsprozesse auszulagern.
BWK: Die Produkte und Dienstleistungen von numetris sind an der Schnittstelle zwischen Messung und Abrechnung angesiedelt. Dort hat sich durch die Gesetzgebung in den letzten Jahren einiges verändert. Was ist heute neu bzw. anders?
Pyras: Neue Anforderungen sehe ich einmal im Rahmen der zukünftigen automatisierten Wechselprozesse im Messwesen (WiM), die bekanntlich ähnlich abgewickelt werden wie die Lieferantenwechselprozesse (GeLi Gas). Hinzu kommen völlig neue Prozesse wie der Stammdatenaustausch für Messgeräte. Die Definition der Formate wird noch spannend. Ich gehe davon aus, dass im Bereich des Stammdatenabgleichs wie auch beim Messdatenaustausch einiges auf uns zukommt. Wirkliche Her- ausforderungen erleben wir meines Erachtens allerdings erst in dem Augenblick, wenn wir in Smart-Metering-Prozesse hinein- gehen. Sollten die Standardlastprofile abgeschafft werden und es kommt zur täglichen oder gar stündlichen Zählerstandser- fassung, werden wir mit immensen Datenmengen konfrontiert. Weitere wichtige Stichworte sind aus meiner Sicht neue Anfor- derungen in Bezug auf standardisierte Datenaustauschformate, 24/7-Betrieb, kürzere Fristen, größere Geräteanzahlen und Ge- rätevielfalt sowie höhere Anforderungen an die Verfügbarkeit.
BWK: Das dürfte auch an den Kunden nicht spurlos vorüber- gehen.
Pyras: Die müssen das ausbaden, und zwar unter starkem, allgegenwärtigem Kostendruck. Die Kunden werden im Moment von Prozessneuerung zu Prozessneuerung getrieben. Im Prinzip gab es zuletzt im Jahresrhythmus immer etwas Neues: GeLi Gas, GaBi, Mehr-/Mindermengen, Kapazitätenmanagement, demnächst die Wechselprozesse im Messwesen (WiM). Ich habe den Eindruck, dass die Mitarbeiter-Teams in den Unternehmen ziemlich belastet sind. Die gesamte EDV-Unterstützung ist kaum noch mit eigenen Leuten machbar, es fehlt an Manpower. Für die Umsetzung werden immer häufiger externe Kräfte benötigt, mitunter sogar schon für die Prozessdefinition. Erschwerend kommt hinzu, dass das Wissen über die Prozesse nur langsam in alle Köpfe sickert. Informationen werden nicht früh und kon- sequent genug verbreitet, sondern oft erst, wenn die Systeme eingeführt sind.
BWK: Welche Herausforderungen erwachsen daraus für numetris als Software-Lieferant und Prozessdientleister?
Pyras: Wir sind natürlich auch stark gefordert. Es gilt, stets frühzeitig das notwendige Know-how aufzubauen und in jeder Hinsicht am Ball zu bleiben. Die Systeme müssen mit den Anforderungen Schritt halten, sie müssen kundennah und strikt prozessorientiert ausgelegt sein. Die Firma muss auch personell wachsen, natürlich nicht zu schnell, sondern stetig und mit Augenmaß, weil neue Mitarbeiter integriert werden müssen. Ein Treiber könnte die steigende Nachfrage im Bereich Dienst- leistung sein, indem wir verstärkt Aufgaben eines externen Messdienstleisters wahrnehmen.
BWK: Wo mussten und müssen Ihre Produkte ausgebaut und/oder ergänzt werden?
Pyras: Im Augenblick geht es hauptsächlich darum, auf der einen Seite einen Architekturwechsel in unserer Lösung zu bewerkstelligen. Parallel gilt es natürlich zusätzliche Anforde- rungen zu integrieren, die in erster Linie aus der Prozess- überwachung kommen. Wir gehen momentan quasi in einem Spagat durchs Leben.
BWK: Warum ist die Prozessüberwachung so wichtig geworden?
Pyras: Der Fachanwender benötigt eine einfache Fehleranalyse, weil Ausfälle immer kritischer werden. Durch die GaBi-Gas-Prozesse, durch die täglich zweimalige Durchschleusung der Werte inklusive der monatlichen Prozesse bleibt nicht viel Zeit zum Reagieren. Es wird einfach zu teuer, wenn ein System ausfällt. Problemanalysen, Ersatzwertbildung und Dokumenta- tion müssen künftig unter höchstem Zeitdruck revisionssicher funktionieren.
BWK: Bereiten auch die steigenden Datenmengen Stress?
Pyras: Natürlich ist die Skalierbarkeit ein wichtiges Thema. Wir stehen aktuell vor der Aufgabe und werden die ersten Schritte bis Oktober auch abschließen, dass viele Messanlagen haupt- sächlich über GPRS-Kommunikation abgerufen werden, und zwar stündlich. Das kriegt man mit dem bisherigen Ausbau nicht mehr ohne weiteres hin. Wir haben bisher Erfahrungen gemacht mit einem monatlichen Wachstum von ca. 60 Mio. Werten pro Monat, aber das ist für die Zukunft noch zu wenig.
BWK: Numetris bietet das komplette Leistungspaket der Pro- dukte auch als Service an und will im Dienstleistungsbereich wachsen. Noch vor wenigen Jahren gaben EVU weder gerne Daten aus der Hand noch waren sie bereit, wesentliche Prozesse auszulagern. Hat hier ein Umdenken stattgefunden?
Pyras: Aus meiner Sicht ja. Energieversorger sind unter dem zunehmenden Kostendruck bereit, einzelne Prozesse an kompe- tente Partner auszulagern, zumal das eigene Personal mit immer mehr Aufgaben belastet wird. Wer einen Prozess aus- schreibt und die externen Kosten mit den internen vergleicht, kommt an der Auslagerung nicht vorbei, wenn er damit die Kosten insgesamt senken kann. Wir spüren diesen Trend. Kaum jemand investiert im Moment in ZFA- und MDM-Systeme. Die großen Unternehmen sind natürlich entsprechend ausgerüstet, die kleinen hingegen bevorzugen die Dienstleistung, weil sie sonst auch noch Samstag, Sonntag und Feiertage abdecken müssten. Es ist ja immer noch nicht ausgestanden, ob beim Gas nicht die stündliche Auslesung durchgesetzt wird. Eigentlich muss ab 1,5 Mio. kWh Jahresverbrauch stündlich ausgelesen werden. Aber kaum jemand tut dies bislang, weil der Aufwand immens ist.
BWK: Bei den Messdienstleistungen stehen Sie im Wettbewerb mit zahlreichen anderen, teils sehr potenten Unternehmen. Welche Chancen rechnen Sie sich aus?
Pyras: Mit unserer Software stehen wir im Wettbewerb, mit unseren Dienstleistungen auch. Dadurch, dass viele Stadtwerke eigene IT- und Shared-Service-Gesellschaften gegründet haben, dürfte er im Bereich Messdienstleistungen sogar noch intensiver werden. Aktuell sehen wir dennoch realistische Chancen. Wir erleben die Nachfrage nach Messdienstleistungen – weil die Manpower der Netzbetreiber oder im Shared Service nicht aus- reicht, weil zunehmend Engpässe auf die Firmen zukommen und weil es nicht zuletzt auf die Kosten ankommt.
BWK: Welche zukünftigen Herausforderungen und sehen Sie für die Gaswirtschaft?
Pyras: Wir erwarten eine wachsende Häufigkeit der Prozesse, zunehmend untertägig bis stündlich, und eine weitere Automa- tisierung der Prozesse. Die ansteigende Biogas-Einspeisung erfordert neben der eigenständigen Bilanzierung auch weitere Volumen- und Gasbeschaffenheitsmessanlagen. Zusätzlich benötigen die Händler Daten, damit der schnelle Einkauf/Ver- kauf von Mengen am Spotmarkt möglich ist. Durch fremde Messstellenbetreiber im Netz wird die Gerätevielfalt wachsen.
BWK: Macht Ihnen die Arbeit angesichts ständig neuer Herausforderungen immer noch Spaß?
Pyras: Sogar mehr als früher. Veränderungen und neue Her- ausforderungen bedeuten immer auch Chancen. Wettbewerb macht munter, und wir nehmen ihn an. Die aktuelle Gesetz- gebung in der Energiewirtschaft ist für die Unternehmen der IT und Dienstleistungsbranche ja geradezu eine Arbeitsbeschaf- fungsmaschine. Wir werden unseren Vertrieb professionali- sieren, um den Markt noch offensiver angehen und uns eine leckere Scheibe vom Kuchen abschneiden zu können. Der Markt wird wachsen – und wir mit.
Unter Dampf und neuer Flagge
Die numetris GmbH wurde 1996 als GeNeSys GmbH & CO KG gegründet. Seit 2006 ist Geschäftsführer Joachim Pyras allei- niger Gesellschafter. Im März 2010 folgte die Umbenennung, weil es wiederholt zu Verwechslungen mit einer anderen Ge- sellschaft gekommen war. Das Essener Unternehmen bezeich- net sich als Systemhaus und Dienstleister für Automatic Meter Reading (AMR), Messdatenmanagement (MDM) und Energie- datenmanagement (EDM) mit Schwerpunkt in der Gasversor- gung. Mit ihrer Software und darauf basierenden Dienstleis- tungen besetzt die numetris GmbH die Schnittstelle zwischen Messgerät und Abrechnung. Im 7×24-Stunden-Betrieb wird die Messung, Verarbeitung und Weitergabe von Daten an Netz- betreiber, Lieferanten und Kunden unterstützt. Führende deut- sche Gasversorger zählen zu den Kunden. Pyras kennt die Gasbranche nicht zuletzt dank langjähriger Tätigkeit (1969-81) bei der Ruhrgas AG. Bis zur Gründung des eigenen Unter- nehmens war er in einem führenden Systemhaus und ab 1988 als freiberuflicher Systemanalytiker tätig.
Erschienen in BWK, Heft 07-09/2010